100km - oder wie stelle ich mein Leben auf den Kopf

Juni 2008

Moin,


Biel – der Hammer hing bei km 86

Was für ein Jahr 08. Im Training hatte mich das Lust-Los voll im Griff. Aufrecht und im Training hielt mich nur der Gedanke an Biel. Das erste mal musste ich ja. Denn einmal muß man ja angeblich nach Biel. Nun diesmal war das zweite mal. Also die Kür. Sprich ich musste nicht, ich wollte. Und obwohl ich wollte war die Motivation in den letzten Monate so mau.

Na es kam die Woche vor dem Lauf und ich war guter Dinge. Ich hatte 1035km in 08 gelaufen. Nur 50km weniger als in 06 beim Debüt. Ich hatte 73km, 60km, 50km, 42km als lange Einheiten dabei gehabt. Klingt doch gut.

Am Freitag morgen trafen sich dann also Conny, Tessa, Sven und ich am Flughafen und bestiegen gemeinsam den Flieger gen Basel. Der Plan war, dass Conny allein vorausfliegt (Lachmöve eben). Tessa, Sven und ich wollten gemeinsam starten und dann kucken.

In Biel angekommen bezogen Sven und ich erstmal das Zimmer in der Lago Lodge. Diesmal nicht allein in der Hand von Läufern. Irgendwo spielten angeblich auch Menschen Fußball. Und für die waren auch Zuschauer in der Lodge. Bis gegen 17:00 haben wir dann gedöst und sind dann Richtung Eissporthalle aufgebrochen. Die Startunterlagen waren schnell in unserer Hand und als Überraschungs- und Jubiläumsgeschenk gab es noch ein Schweizer Messer dabei. Nett.
sven relaxed heiko relaxed
eishalle Nutze die Nacht - Eishalle
Nun galt es noch die Zeit bis 22:00 zu vertrödeln. Auch zum Jubiläum war nichts außergewöhnliches vorbereitet, so das in der Zeit bis zum Start nur reden, schauen und sitzen möglich war.
Start 2008
Dann war es endlich 22:00. Und es war trocken. Der Regen sollte uns erspart bleiben. Es gab wieder diverse durchsagen in brüllender Lautstärke und dann den erlösenden Knall. Wir liefen. Bereits kurz danach zog Sven an und lief uns davon. Er wollte nicht so langsam starten wir in 06. Ob das gut gehen würde?

Tessa und ich liefen auch recht flott 6:30-6:45 war eigentlich schneller als ich wollte. Oft viel der Satz: Wann sich das wohl rächt. Aus Biel raus kamen die Bettonplatten über die Felder. Letzte Mal war es hier schon recht ausgedünnt. Diesmal war es so voll wie bei einem Stadtmarathon direkt nach dem Start. Eng, Gedrängel. Ungewohnt für einen 100er. Aber es lief. Oberramsern erreichten wir in 4:48.54 (2006 = 4:58.12). Leider war es bis hierhin so, dass an den Verpflegungsständen ein Gedrängel herrsche wie beim Sommerschlussverkauf am Grabbeltisch. Schade, dass der Veranstalter aus der Doppelten Zahl der Starter keine weiteren Rückschlüsse gezogen hat. Es ging nun in Richtung 50km Schild. Streckentechnisch markiert die 50 ja so was wie die Hälfte. Mental ist es aber wohl eher das erste Drittel. Oder wie hörten wir Menschen sagen. Bei km70 hast Du die erste Hälfte. Wobei die zweite länger ist als die Erste. Aber egal. 50km ist einfach wichtig. Und so wurden dort auch wieder die obligatorischen Fotos gemacht. Bis dahin waren die Laufanteile sehr hoch. Wir gingen relativ wenig und meine Angst, dass das noch folgen haben könnte wuchs und wuchs.
50km-2008
Kirchberg erreichten wir in 7:23.52 (2006 = 7:36.44). Dort trafen wir auch Sven wieder. Er war lange vor uns da, hatte sich dann massieren lassen und auf uns gewartet. Ich habe dort reichlich gegessen, weil sich ein intensiver Hunger bemerkbar machte. Linzer Törtchen (kenne ich vom Jungfrau Marathon), fix süß, aber genau das richtige an dieser Stelle, Gels, Brot, Orangenspalten, Brühe, Wasser, Isoplörre und Cola. Alles musste rein. Puh, das tat gut.

Den Hoh Shi Min Pfad liefen wir fast vollständig durch. Im 3er Team. Allerdings immer in der Konstellation: Tessa und Sven in Führung, Ich hinter her. Ich wusste, es ist zu schnell. Aber vielleicht ging es ja gut. Schmerzen in Fuß und Knie machten sich immer deutlicher bemerkbar und vernünftige Menschen hätten wohl irgendwie darauf reagiert. Aber kann jemand der 100km rennt als vernünftig bezeichnet werden? Wohl kaum. Also lief ich weiter.

Bis km 73 ging alles prima. Wir liefen und liefen. Dort habe ich wieder unmengen Zeugs wild durcheinander gefuttert. Sven war leider platt und blieb erstmal dort. Wollte Pause machen und nachher allein weiter laufen.

Tessa zog an. Ich folgte. Sollte Tessa mich zu einer Bestzeit ziehen, oder doch in den Untergang. Im Moment sah es nach Bestzeit aus. Also Augen zu und durch. Wir liefen bis Bibern nahezu durch und erreichten den Fußpunkt des Bergs von Arch in 10:30.16 (2006 = 10:33.53) . Und hier wird deutlich. Gefühlt war ich flott. In Zahlen war ich fast zeitgleich an dieser Stelle wie bei meinem Debüt vor zwei Jahren. 3 Minuten. Da ist ja wohl nichts. Den Berg gingen wir hoch. Oben angekommen Gab Tessa gleich wieder Gummi. Und ich Blödi zog mit. 5:30 min/km den Berg hinab. Hatte ich nicht eh schon Probleme mit Knie und Fuß. Ja. Muß man dann Bergab flott laufen? Nein. Warum tat ich es dann? Frag doch so was nicht. Ich tat es einfach.

Bis km 85 konnte ich Tessa folgen. Die langen Bögen der Aare waren so schnell vorbei. Es war nicht so zäh und langweilig wie in 2006 als ich hier in großer Hitze allein lief. Eigentlich war alles gut. Sollte es OK gewesen sein gefühlt zu schnell gelaufen zu sein?

Klare Antwort: NEIN. Verpflegungsstation km 86. Der Ort der Entscheidung. Es nähert sich Hr. Müller. Er läuft noch. Er hält an. Trinkt. Ißt. Muß sich setzen. Er trinkt und isst im sitzen weiter. Wird er wieder aufstehen. Ein zucken. Der Po lüftet sich ein wenig. Nein. Es reicht nicht. Er trinkt, er isst. Ein neuer Versuch. Nix. Nun aber mal ganz langsam. Einer der bis 86 gelaufen ist wird doch hier jetzt nicht als versteinerte Verzierung auf der Uferbefestigung sitzen bleiben. Also hoch mit dem Hintern. JETZT. Na bitte. Ging doch. Und nun? Stehen bleiben bis die Sonne untergeht? Ne, die Idee war den 100er zu finishen. Gute Idee. Und wie ging das noch? Ach ja, laufen, oder alternativ gehen.

Aus der Perspektive eines Menschen der Stehen bereits als Herausforderung ansieht, habe ich laufen erstmal gestrichen. Blieb gehen. Mal sehen, irgendwo war doch noch das Programm dafür. Wie war das noch? Genau, einen Fuß heben, langsam vor (Achtung Gleichgewicht aufgeben, aber nicht vollständig umkippen), aufsetzen und dann das gleiche mit dem anderen Fuß. Das ganze jetzt noch so oft wieder holen, dass am Ende 14km zusammen kommen. Bin ich eben noch 7:30 min/km gelaufen, fallen mir jetzt 14min/km schwer.
Endlich 90km
Und so beginnt an dieser Stelle der eigentliche 100er für mich. Ich kämpfe mich weiter. Ich winde mich an der Gärtnerei vorbei. Ich werde an den Feldern geröstet. Den plötzlich empfinde ich die Sonne als zu warm, den Weg als zu staubig, alles ist doof.

Auch wenn die Steigung die noch kommt weh tun wird. Warum kommt sie nicht. Die muß doch längst mal zu sehen sein. Hinter dieser kurve, nein, murks immer noch nicht. Oh ja, endlich. Da hinten. Noch einmal lang rechts übers Feld, dann lang auf die Steigung zu.

Rauf da. Langsam, ganz langsam. Wasser ist auch schon alle. Dauert eben alles zu lang wenn man so schleicht. Wo war doch noch die nächste Verpflegungsstelle. Keine Ahnung. Aber es kommt noch was. Ich schleiche durch den Wald. Nun wird es aber eng. Ich habe furchtbar Durst. Der Wald lichtet sich, bergab auf ein Dorf zu. Beim ersten Gehöft werde ich nach Wasser graben. „Können wir Dir helfen“ Ups, sich von hinten nähernde Mitläufer konnten an meiner Rückseite erkennen, dass ich nicht gut bei Schick bin. Schlechtes Zeichen, ganz schlechtes Zeichen. „Ja, habt Ihr was zu trinken übrig?“ „Ja“ Puh, ich bin gerettet. Ich trinke. Im Ort ist dann auch die Verpflegungsstelle höre die netten Helfer sagen.

Dort angekommen trinke ich wie ein Kamel nach einer Sahara Durchquerung. Ich esse und muß mich noch mal setzen. Der Kreislauf ist wieder da, das Knie und der Fuß sagen: Hier kann man doch auch aufhören, oder? Ich sitze und rufe Sven an. Er wollte gern vor mir ankommen. Wenn er noch im Rennen ist, jetzt ist seine Chance. Er geht ran. „Wo bist Du?“ „Am Berg nach der Gärtnerei“ „Dann gib Gas, ich sitze bei der Verpflegungsstelle km 94 und bin alle“

Ich gehe weiter. Bei km 97 hat Sven mich eingeholt. Motiviert durch die Chance vor mir im Ziel zu sein ist er nach meinem Anruf wieder ins Laufen gekommen. Wir gehen 1km zusammen, ich sag: Mach zu, Lauf ins Ziel. Weg ist er.

Ich gehe weiter. Entweder werde ich doch auch noch wieder schneller oder die letzten beiden km sind falsch ausgezeichnet. Jedenfalls schaffe ich wieder erwarten noch sub 15std. ins Ziel.

14:51:58
heiko im Ziel
51min langsamer als 06. Aber ich bin froh im Ziel zu sein. Es war – heute ist es ja schon zwei Tage her – ein lustiger Kampf. Irgendwie war das beim dem Lustlosen Training zu erwarten. Irgendwas musste ja komisch laufen. Und hier war es eben das Ende. Kraftlos 08. Ein schönes Motto. Knie und Fuß haben sich – wieder erwarten – sehr gut erholt. Ich kann fehlerfrei gehen. Schmerzen habe ich keine mehr.

Werde ich Biel noch mal angehen? Ab km 86 war die Antwort: Never ever again! Im Ziel: Nicht so bald! Heute: Na mal sehen, wer weiß schon was morgen sein wird.

Die Daten 2008
Ist es das was die Psychologen Sucht nennen?

Ach ja einen hab ich noch: Das die Veranstalter tatsächlich nicht genug Medaillen und Finisher Shirts hatten ist schon der Hit. Nach obigem Lauf wäre so eine Medaille um den Hals und ein Finisher Shirt auf dem übergewichtigen Körper doch eine schöne Sache. Aber Kollege Planer hatte nicht genug bestellt. Cool. Von hier noch mal ein herzlich Dank an Conny für die gespendete Medaille. Tat mir SEHR gut. Danke!!
Bis zum nächsten Mal
der Tag danach

PS: alle Bilder aus dem laufen mit dem Handy... sprich die sind so gut wies eben ging!