Biel 2010 – mein erstes KIF
Anreise diesmal über Zürich und in Begleitung von anderen. Daher auch
keine großen Desaster. Ich war also pünktlich am Standardquartier, der Lago Lodge.
Wie bisher immer wurde am Nachmittag noch reichlich gechillt. Anstrengende Bewegungen
waren erst für nach 22:00 freigegeben. Das reicht auch.
Ich hatte mit dem Hexenstieg und der dabei erfolgten beidseitigen
Fußöffnung ja eine nicht so glorreiche Vorbereitung für Biel hingelegt, aber das war
zum Glück alles gut verheilt und ich konnte sogar noch laufen vor Biel. Ich hatte
also quasi trainiert. In Zahlen 333km in diesem Jahr! Das sollte ja für einen bekannten
100er locker reichen. Schnell wollte ich ja auch hier nicht sein.
Wetter sah soweit auch gut aus. Trocken. Moderate Temperaturen. Prima.
Wie irgendwie jedes Mal, wenn ich in Biel bin, spielten irgendwo
irgendwelche Leute Fußball und somit war auch heuer (landessprache!) wieder eine WM angesagt.
Komisch. Mir ging das aber wie immer am Sitzfleisch vorbei und so konnte ich mich an dem bunten
Treiben der Läufer ergötzen. Ist schon immer wieder spannend was da so in den letzten Minuten vor
dem Lauf alles noch gesalbt, getrunken, umwickelt und umsonstwast wird. Aber was muss, das muss.
Meine Füße sahen diesmal ja auch aus wie Verkaufsdisplay für Compeed. Aber ich traute einfach den
nachgewachsenen Hautschichten noch nicht über die 100km und so wurde eben klebende Kunsthaut vom
Chemieriesen auf die Füße appliziert.
Vor dem Start hatte sich noch unzählige Fories neben dem Zelt getroffen.
Die Zahl derer die ich kannte war erschreckend groß. Ich Laufe wohl doch schon zu lange
Kurz vor 22:00 Uhr schallten wieder Botschaften in Trommelfell verachtender
Lautstärke über die Scharr der Wartenden. Ich stand diesmal recht weit hinten. Nettozeiten sind
zwar in Biel unbekannt und man verschenkt Minuten, wenn man hinten steht. Aber irgendwie war klar, dass Minuten in 2010 nicht mein Problem sein würden. Stunden? Tage? Monate… Es würde langsam werden.
Aber in diesem Lauf ging es nicht um Zeit für mich. Ich war zweimal angekommen. Einmal muß man ja.
Zum zweiten Mal wollte man und das 3te ist nur noch zum genießen. So hatte ich auch Sven und Tessa
gesagt, ich würde notfalls stehen bleiben um nicht mit den Beiden zu laufen. Genuß eben. Nein, es
wäre sicher schön mit den Beiden zu laufen, aber ich wollte einfach auf kein Tempo als das meinige
achten müssen. Mal sehen was dabei rumkommt. Gezogen werden ist mitunter ja nicht das schlimmste.
Aber diesmal eben ohne die üblichen Verdächtigen Ultreusen und –tras.
Damit war auch klar, dass ich von Anfang an schön an der Seite laufen
würde. Steigungen eh nur im Stockstelzen langsam Modus nehmen würde und an den Tränken mal
nicht hektisch um mich blicken muss um zu sehen ob die anderen schon wieder los sind. Also
alles mal gaaannnzzz anders.
Die Stadt war wieder voll und man wurde gut angefeuert. Die Bieler
wissen was sich gehört. Aber die Ruhe nach der Stadt ist dann doch eher meins.
Ohne Schallminator im Ohr und offenen für die Eindrücke der Nacht ging es hinaus in eben diese.
Interessanter Weise waren die meisten Orte seltsam vertraut. Bedenkt man, dass ich jeweils erst
zweimal in meinem Leben an jedem Punkt des Laufes war, so ist die Erinnerung daran doch sehr
intensiv. Laufen schärft wohl doch die Sinne. So saugte ich auch diesmal wieder die
Streckenabschnitte in mich auf und speicherte sie in dem mit dem Alter zunehmend
begrenzten Ablagesystem meines Kopfes ab. Oft kam mir schon in den Sinn das mal
gründlich zu entrümpeln. Den wer braucht wirklich das Wissen um eine Unterführung,
nach einer längeren Steigung. Schön, man weiß, die kommt, und danach geht’s leicht
ansteigend nach links. Oder das Gefälle nach der rechts Kurve. Bergab. Dann scharf
links. In der Kurve wird meist gegrillt, die Musik ist laut, was den folgenden
Anstieg nicht leichter macht. Details. An den meisten Tagen des Jahres so
überflüssig wie ein – unter Bergbewohner angeblich häufiger vorkommender – Kropf.
Aber eben im Ablage System enthalten. Könnte man löschen. Dann wäre aber das
vertraute im Lauf weg. Pro und Contra. Wie so oft im Leben. Ca. 90min habe ich
mich ausgiebig mit diesem Thema beschäftigt. Laufen gibt einem die Zeit, die
wirklich unnützen Dinge des Lebens zu denken. Deshalb liebe ich das Laufen.
Ich denke gern unnütz. Hilft auch im Beruf.
Anders als sonst war die Nacht warm. Schwül. Südstaaten Klima fast.
Ich ölte wie ein Hamster in der Friteuse. Auch andere hörte ich stöhnen. Ich mag es ja
lieber warm als kalt und so konnte ich mich nicht wirklich beklagen, aber die drückende
Wärme kostete schon etwas von der Kraft die ich nicht so richtig hatte.
Futter war auch wie immer. Diverse Getränke, Flocken, Obst, Riegel…
man konnte nicht klagen. Auch weil anno 2010 wieder nur die üblichen ca. 1400 Leute am Start
waren und einem das 50anniversary Gedrängel aus 2008 erspart blieb. Man kam ran an seine
Orangenspalten – auch ein Begriff den ich erst hier in Biel in meinen Sprachschatz integriert
habe – ohne Schlange. Ein Griff und das Ding hing im Mund. So soll das sein. Den Rest spuckt
man wieder aus, und so dachte ich kurz darüber nach im Abfall nach Bissabdrücken von Tessa und
Sven zu suchen. Ich hätte dann anhand der Dicke der Schicht, die sie bedeckt hatten einen
Rückschluss auf meine Rückstand ziehen können. Aus irgendwelchen mir nicht mehr präsenten
Gründen machte ich diese Recherche aber nicht und lief einfach weiter.
Als ich gerade das 45km Schild mein eigen nannte rief Tessa an um
mir zu erzählen, dass Sie bereits bei 50 steht. Weder Sie noch ich waren damit zu diesem
Zeitpunkt so weit wie wir gern gewesen wären. Die drückende Wärme bremste wohl doch.
Tessa sagte was von „mal sehen ob ich abbreche“ Murks.
Kirchberg. Quasi das Burj Al Arab der Verpflegungsstationen in Biel.
Duschen, Massagen, Wechselklamotten… hier könnte man bleiben. Äh, kann man ja auch. 56km
und ab in die Wertung. Aber das macht man ja nicht. Biel ist ein 100er. Und der ehemals
legendäre Ho Shi Min Pfad kommt ja erst noch. Also nahm ich wieder reichlich Futter in
mir auf. Trug den Kleidersack einen Haufen weiter, damit er es – wie ich – auch wieder
nach Biel zurück schafft. Ich trennte mich hier von meinen Regenklamotten. Das schien
nicht mehr nötig zu sein die zu tragen. Tessa war auch noch da. Schlief auf einem
Feldbett und merkte nicht, wenn Ihre Augen verdunkelt wurden. Ich beschloß Sie
schlafen zu lassen und wollte weiterziehen. Draußen klingelte das Telefon. Tessa
fragte wo ich stecke, ich sagte vor der Tür und Sie kam raus. Mittelerweile war
Sie wieder guter Dinge (1:45Pause) und lief weiter. Richtig so. Ich war zu schlapp
um Ihr Tempo nur ansatzweise in Betracht ziehen zu können und ging allein auf die
zweite Hälfte.
So ging es auf den Pfad. Ein trail ähnliches geschehen mit
querlaufendem Wurzelprofil, überhängenden. Später dann ein Ableger der A7. Platt
und ohne Anspruch. Nun gut, für die einen sicher schön, kommt man doch flott mit
dem Ackerschlepper an den Fluß und kann seine Gülle entsorgen, für die anderen ein
Verlust, denn so war der Pfad zum Schluß eben eine Straße und Ho Shi Min Straße…
wie klingt den das?
Futter unter der Brücke. Die armen Supporter stehen da den
ganzen Tag unter der Brücke im warten auf die Läufer. Bei Regen sicher der
begehrteste Versorgungsstand überhaupt – naja, nach Kirchberg – aber so?
Abgeschnitten von der Sicht auf den Himmel ist das eher wie ein Trainingscamp
für Grottenolme.
Das Ende des Pfads äh, der Straße. Ein letztes mal Kalorien
Zufuhr und dann folgt ein langer, langer langsamer, kräftezehrender Aufstieg auf
den Mount Arch. Zweimal habe ich hier Laufkumpane eingebüßt. Da ich allein unterwegs
bin, kann zumindest das diesmal nicht passieren. Ich könnte natürlich mich selbst
einbüßen. Gut geht’s mir ja schon länger nicht mehr. Der Saft ist nicht mehr mit mir.
Die Kraft sowieso nicht. Ich komme noch passabel voran, ich freue mich über den Lauf
aber das entspannte Rehlein gehüpfe – war doch der Name diesen grauen Tiers mit dem
Rüssel – welches ich noch zu Beginn der Strecke hinlegen konnte ich definitiv Schnee
von gestern. Ich hatte jetzt mehr die Dynamik einer altersschwachen Landschildkröte,
aber auch die sind ja bekanntlich langsam und zäh. In Bibern, vor der echten
Steigung wartete der Bus. Erneut ein Punkt an dem man mit Wertung aussteigen kann.
Perfide gewählt. Man sieht schon den Kurvenzug oben am Hang. Man weiß: Dort hinauf
müssen die münden Beine den stark fetthaltigen Oberkörper noch wuchten. Aber ich
bin nicht so ein Freund des ÖPNV und daher lief ich lieber weiter. Was sind 25km
auf eigenen Beinen gegen 2 Stunden Busfahren? Genau, eine Erholung! Also weiter
den Hang hinauf.
Oben war ich dann gut am keuchen. Ohne Tessa konnte ich aber den
Abstieg ruhiger angehen lassen. Vor zwei Jahren bin ich hier Tessa in einem Tempo hinter
her gelaufen, also wirklich, sowat von schnell, quasi unglaublich. Unten hätte ich dann
meine Knie als Puzzel bei e-Bay reinstellen können. Das sollte diesmal anders laufen.
Also schön piano. Oh, Musik. Genau. Bericht. Hexenstieg. Man meinte ich sei Moll nicht
Dur. Also Wiki (Moll ? Wikipedia) hat mich dann aufgeklärt Moll sei traurig, Dur fröhlich.
Ich kam also Piano und Dur unten an. Knie im Stück. Naja in zwei Stücken, weil ja noch beweglich. Im Stück wäre dann erst morgen früh. Nach dem Aufwachen. Da geht erst mal nichts. Aber wenn die Kollegen nett sind, stellen die einen wie ein Brett unter die Heiße Dusche und so nach 3-4 Stunden ist die Beweglichkeit schwubs wieder da. Ich schweife ab. Ich war als Dur Piano mit zweiteiligen Knien unten. Fröhlich also. Und in einer weiter zum Laufen zu gebrauchenden Verfassung.biel-2010-mein-erstes-reines-kif-118-ich-80km.jpg
Es kam die Aare. Ein Fluß. Die Strecke begleitet den Fluß. Zwei
Dinge hat dies zur Folge. Man meandert träge wie der Fluß dem Ziel entgegen und freut
sich über die konsequente Abwesendheit von Bodenunebenheiten oft auch Berg genannt.
Eine in der Schweiz durchaus unübliche Geländevariante. Ich meine jetzt das platte.
Von den Verwerfungen haben die reichlich. Also platt meanderte ich auf den Hungerposten
beim km sonundso in Buren zu. Mein Schicksals Posten. Einmal bin ich dort fast versteinert.
Nach kurzem sitzen auf der Ufermauer hatte ich damals jegliche Beweglichkeit eingebüßt. Und
dann habe ich es dort regelmäßig versäumt meinen Getränkevorrat aufzufüllen. Was bei beiden
zurückliegenden Läufen zu einer Dehydrierung auf dem folgenden Abschnitt führte. Das sollte
diesmal anders laufen.
Aber vor allem hatte ich seit km 85 eine Begleitung. Das Schweizer
Trinchen war mich entgegengekommen und würde mich jetzt die letzten 15km ins Ziel begleiten.
Ich freute mich wie ein Schneekönig. Ich glaube Marianne kann gar nicht ermessen, wie sehr
ich mich freute Ihr hellblaues „iss nicht mehr weit“ Shirt zu erblicken und Sie fortan an
meiner Seite zu sehen.
Wir flogen quasi flott gehend dem Ziel entgegen. Laufen war für mich schon länger nicht
mehr drin. Jeder Versuch kurz wieder ins laufen zu kommen wurde mit intensivem Keuchen belohnt.
Nachdem man den Bach überquert hatte folgte der Abschnitt an der
Gärtnerei. Der sowohl mir als auch Sven irgendwie immer als „geht gar nicht“ in Erinnerung
geblieben ist. Egal was vorher war, an der Gärtnerei war alles aus. Na diesmal mit reichlich
Flüssigkeit an Bord und Marianne an meiner Seite war auch das passieren der Gärtnerei in
aufrechter und entspannter Haltung möglich. Es war ein super Gefühl. Hier wo ich sonst so
gelitten habe lief es super. Sicher. Flott geht anders. Aber ich bewegte mich. Stetig.
Ich wurde überholt OHNE das man mir Hilfe anbot. Ein sicheres Zeichen, dass ich besser
bei Schick bin, als zuvor. Und auch ich überholte wieder. Klasse.
Ich komme zur Schicksalssteigung. Die nach dem rechts/links übers
Feld direkt nach der Straße. Wäre das der Beginn der Strecke würde vermutlich jeder sagen:
Steigung? Bitte wo ist hier eine nennenswerte Steigung? Nach 90km ist das eine und ich war
ich immer fix fertig und mir graute vor dieser Stelle. Auch diesmal zogen mich natürlich
meine Nutella Deponien kräftig in Richtung Tal und mal wieder war es der Wille der dagegen
hielt und mich nach oben brachte. Ein Stückchen Wald, bergab, Häuser, Tränke. Noch mal
Futter fassen. Allmählich konnte das auch aufhören. Die Auswahl ist gut. Denkt man. Bei
den ersten Stationen. Die Auswahl bleibt. Es folgen weitere Stationen, man wird müde. Die
Auswahl hält. Km 90. Die Auswahl nervt. Gleiches ist nicht immer Gleich, wenn sich der
Laktatspiegel des Verzehrers ändert. Km 95. Die Auswahl ist egal. Km 100 Die Auswahl?
Welche Auswahl. Ich bin da, alles ist gut. So läuft das mit der Auswahl. Aber noch
fehlen ein paar km.
Und diese letzten 3km waren dann doch wieder schwer. Der linke Fuß,
der erst so bei km 80 aufgehört hatte fürchterlich zu schmerzen, fing wieder an. Blöde
Knochenhautentzündung. Aber 3km. Das ist doch machbar. Auf der anderen Seite war Marianne
hier einem Läufer zu Hilfe gekommen, der einfach kolabiert war. 3km vor dem Ziel und dann
mit dem Krankenwagen geholt werden. Bitter. Na ich kolabierte nicht, aber ich war erschöpft.
Das Ziel dürfte jetzt bitte mal schnell kommen. Ich mochte nicht mehr. Marianne redete mich
über die letzten km. Ich weiß nicht wie ich Ihr dafür danken soll!!!!
Kurz vor dem Ziel wurde ich noch von Sven (hat mit 13:37 endlich
in unserem persönlichen Wettstreit eine Zeit besser als ich!), Tessa und Conny angefeuert.
Im Ziel dann noch ein kleiner Spurt. Ich wollte unter 17:45 bleiben. Quatsch eigentlich.
Wer so langsam ist sollte sich darüber keine Gedanken mehr machen, aber ich machte sie mir.
Dann schnell ins Zelt eine Wurst essen. Ich hatte so einen Janker nach was fettigem.
Ich war so langsam wie nie und es ist wohl grenzwertig das noch als
Laufbericht zu posten. Aber ich war froh. Letztlich war es der Kopf (KIF=Kopf induziertes Finish) der mich über den Zweiten Teil gebracht hat. In Kirchberg hatte ich mir eine Zielzeit von 18:30 ausgerechnet und somit hätte ich ab Kirchberg noch gut 10 Stunden gehabt. Das lastete schwer auf meinem Gemüt. Aber ich war schon mal hier und wollte ankommen. Egal ob das nun ein Lauf oder ein Walking Event würde. Aber 10Stunden fühlen sich fies an, wenn man eigentlich keinen Fuß mehr vor den anderen setzen möchte. Wenn der linke Fuß irre schmerzt. Die Knie schon schlackern. Aber ich wollte ankommen. Und die Pumpe fühlte sich gut an. Also habe ich die 10Stunden in Angriff genommen. Und dank Marianne bin ich am Ende sogar noch wieder schneller geworden, habe Leute überholt und nicht 18:30 gebraucht sondern „nur“ 17:45!
Am Sonntag habe ich dann sogar am Flughafen Zürich ein „Treppen-Down-Race“
gegen Conny gewonnen. Tessa und Sven hatte für so einen Käse an dem Tag eh keine ausreichende
Beweglichkeit.
Ich erntete sofort den Kommentar, dass ich dann ja auch hätte Biel schneller finishen können,
wenn ich am Tag danach noch so fit sei. Aber das ist denke ich der Punkt. Es sind bei mir immer
noch ein paar Körnchen in der Pfanne und die bleiben da bis ins Ziel. Ich will nämlich immer
lebend ankommen! Und trotz des einen oder anderen Wehwehchens bringt es mir so auch Spaß.
Komme ich wieder? Wer weiß! Mache ich in 2010 noch was langes?
Wer weiß. Ich habe das Gefühl mein linker Fuß verdient eine LANGE Pause, da die
Schmerzen seit Monaten eher zu als ab nehmen. Und irgendwie denke ich, das sollte
ich mal Ernst nehmen.
Und ein letztes Mal:
DANKE MARIANNE!!!!!