Tages(rad)tour zum Brocken - oder doch länger?
Moin,
Einige hatten es ja schon mal vernommen, Tante Elfriede
wollte ja mal ein längeres Stück Radfahren. Also wer nur auf Laufberichte scharf
ist, der sollte hier abbiegen. Die anderen sind mir herzlich willkommen.
Worum ging es also? Ich bin für den Treppenlauf in Dresden gemeldet und dachte
über eine sinnvolle Form der Vorbereitung nach. Nachdem ich am Sonntag letzter
Woche 4 Stunden in Blankenesse die Treppen hoch und runter bin (für die
Interessierten 30mal Bauers Weg hoch und runter, 214 Stufen und ein paar
Meter oben und unten), mußte ich noch irgendwas finden, was mal ein längeres
Stück körperlich Belastung darstellt und nicht so die Knie fräßt.
Da kam also die Idee mit der Fahrradtour auf den
Brocken wieder ins Spiel. Der Plan war in 24Std. vom Nordosten Hamburgs
bis auf den Brocken zu kommen. Sollte ja eine Tagestour sein. Laut Google
Maps musste ich mit ca. 300km rechnen. Die Strecke sollte primär am Elbe
Seitenkanal entlang führen.
Am Freitag um 00:00 ging ich also vor die Tür
und wollte los fahren. Ich stellte aber fest, dass ich noch schnell die
Satteltaschen umbasteln muß. Grummel. Hier und da geschraubt, und dann
ging es doch um 00:30 mit kurzer Verzögerung los. Ich hatte reichlich
Müsliriegel, Zartbitter Nuß Schokolade, Multivitaminsaft und Isoplörre
an Bord. Am Kanal gibt’s ja keine Geschäfte.
Das Arme Rad bog sich unter der Last (mein zig
Kilo mussten ja auch noch auf den Sattel). Aber nach ca. 5km Anlauf hatte
ich einen gleichmäßigen Tritt und mich mit meiner Aufgabe als Packesel
arrangiert.
Es war bitter kalt. Trotz Goretex hier und auch dort zog die Kälte bereits
kurz nach dem Start langsam durch den Körper. März ist halt noch nicht Sommer
und knapp über Null ist im Fahrtwind eher kühler. Aber der Morgen sollte ja
schon in wenigen Stunden grauen und dann kommt ja die Sonne.
Jetzt erstmal durchs Stapelfelder Hinterland in Richtung Geesthacht. Faul wie
ich war – und um Umwege durch falsches Kartenlesen zu vermeiden – lies ich mich
vom Garmin lenken. Meist wäre ich auch so gefahren, an der einen oder anderen
Stelle lernte ich neue Wohngegenden kennen. In den frühen Morgenstunden ist
aber dieser Teil des Landes tot. Egal welchen Weg man fährt. Kippt man da um,
bleibt man lange liegen. Na ich wollte ja nicht umkippen und hab das auch –
zumindest hier – vermeiden können.
Irgendwann kam dann die Elbe in Sicht. Ich war nicht sicher ob ich auf der
Schleusenbrücke überhaupt mit dem Rad unterwegs sein durfte, aber um die Zeit
war kein Kläger in Sicht und schwups war ich südlich der Elbe. Gleich 90 Grad
nach links und an der Elbuferstraße entlang. Eines der ersten Gebäude war eine
Bäckerei. Und die Affen haben Ihren Auspuff satt über die Straße geblasen. Der
unterkühlte Radler, der durch süßlichen Backduft rollt, war geneigt die Leute
ein paar km vor sich her zu treiben.
Wenige km später hatte ich den Duft aus der Nase und freute mich über ein Schild
welches die Elbuferstraße als gesperrt deklarierte. Nun gut, dachte ich mir, gilt
sicher nur für Autos. Also weiter. Ich kam später dann auch gut durch die Sperrung,
aber es war ungepflastert und hat meinen verlängerten Rücken etwas belastet. War
sicher nicht gut, denn den würde ich noch brauchen.
Dann war es nicht mehr weit. Der Elbe Seitenkanal. Rauf auf den Wirtschaftsweg. Zwei
Spuren, Schotter. Links der Kanal. Rechts nichts zu sehen. Wegen Nacht. Und los. Das
verspricht spannend zu werden.
So radel ich km für km. Am Horizont Licht. Was ist das. Es dauert lange bis man
was erkennt. Am Ende ist eine Hebewerk. Ich muß etwas seitlich die Höhe via Straße
überwinden. Ein Vorgeschmack auf den Harz. Danach wieder platt.
Platt, gerade, das Hirn geht schlafen. Dann wieder Licht. Ein Zaun. Ende Gelände.
Die Spinner lassen einen Plump vor den Zaun fahren. Lüneburger Hafen. Kein Schild –
jedenfalls nicht für mich zu sehen – wo ich lang muß. Also rein in den Hafen.
Murks. Sackgasse. Anderer Weg. Sieht gut aus. Hier abbiegen? Navi? Kennt die
Straße nicht. Gefühlt geradeaus. Navi signalisiert Kanal kommt näher. Was ist
das? Werksgelände. Murks, wenden und zurück. Wo war der Abzweig. Ach ja hier,
OK, dann da lang. Gut. Da hinten der Kanal. Durchfahrt verboten. Hafengelände.
Ihr spinnt doch Leute, ich muß da jetzt durch.
Zurück am Kanal. Zwei Spuren, Schotter. Links der Kanal. Rechts nichts
zu sehen. Ist noch Nacht. Weiter geht’s. Da hinten graut wohl der Morgen.
Ein Foto für die Erinnerung.
Höhe Uelzen. Der Magen sagt: Nur Müsli Riegel und Schoko ist doof. Mach mal
halt beim Bäcker. Aber wo zum Geier ist einer. Stadt. Ich sehe Gebäude.
Aber nur Wohnhäuser. Tanken die hier nie? Wo ist der allgegenwärtige McDoof?
Nichts. Provinz. Die Häuser werden weniger. Wie schon alle das Dorf. Na dann.
Rad gefühlt senkrecht an einer Brücke hoch gewuchtet. Ah ein Schild: Zentrum.
Also los. Nach ca. 2km so was wie ein Ortskern. Ein Stehcafe in der noch
aufwachenden „City“. Einmal so ein Teil mit Käse und Salat und einen Latte
Machiatio bitte. Geht doch. Sitzen auf einem Stuhl kann sich so klasse
anfühlen. Ein warmer Raum ist doch das höchste Gut auf Erden.
Langsam Essen und trinken. Draußen ist kalt und der Sattel ist schmal. Aber
nützt ja nichts, weiter geht es. Zurück zur Brücke. Wieder Runter. Und dann:
Zurück am Kanal. Zwei Spuren, Schotter. Links der Kanal. Rechts Gegend. Ja,
jetzt ist rechts was zu sehen, die Sonne ist ja da. Rechts ist Gegend. Sie
kommt hier in verschiedenen Formen vor. Als Acker, Wald, Acker, Wald, Acker,
Wald…. Na sind ja nur 150km am Kanal.
Ich überquere Flüsse. Der Kanal überspannt sie als Brücke. Lustiges Gefühl.
Schmaler Weg. Was wenn der müde Radler schwankt und badet. Bloß nicht
hindenken. Zwei Spuren, Schotter… das kann doch so schwer nicht sein.
Mit der Sonne ändert geht die Kälte und es kommt Wind. Nicht hilfreich von hinten.
Nein sanft von vorn. Nicht schlimm aber nervig. Immerhin sind Richtungsänderungen
nicht die Spielwiese von Kanälen. Was einmal von vorn kommt, kommt immer von Vorn.
Blöder, gerader Kanal.
Aber dann 150km später. Nach der Umrundung eines weiteren Industriehafen und
eines Sporthafen (wieder ohne jede sinnvolle Hinweisgebung) bin ich endlich
an einem ANDEREN KANAL. Der Mittellandkanal. Hier muß ich rechts. Geht auch
nicht anders, es sein denn man will schwimmen. Aber nur kurz, dann verlasse
ich die ach so schönen deutschen Wasserstraßen und fahre auf Straßen. Asphalt
oh wie schön ist doch dein Rollwiederstand. Wo ich eben noch treten musste um
die km/h zu halten rollt es jetzt wie von selbst.
Jetzt wo die Navigation nicht mehr so rudimentär ist: Solange es links naß
ist bist Du richtig, muß ich wieder das Navi bemühen. Kürzester Weg (genau,
der Hintern ist schon rot, da sind Umwege Luxus). So fahre ich durch kleine
Ort. Martinszoll und ähnlich. Ehemalige innerdeutsche Grenze. Verlassen
Werksgelände. Vernagelte Wohnhäuser. Hier steppt der Adler. Ob ich nun
Nachts am Kanal oder hier vom Rad falle. Ich denke es macht keinen
Unterschied.
Überall qualmt es. Zeitweise frage ich mich ob ich schon zu lange unterwegs bin
und die Osterfeuer schon zu brennen begonnen haben. Oder zündeln die hier
einfach nur gern? Ich denke es muß schon was rituelles gewesen sein.
Menschen grillten sogar schon. War Ostdeutsches angrillen? Ich konnte
es nicht klären, es wurde nämlich immer später und ich kam nicht mehr
flott voran.
War der Weg am Kanal platt, war ich jetzt wieder in natürlich gewellter
Umgebung. Rauf zwickte schon arg. Ich mochte den Hintern aber nicht heben.
Rot wie der jetzt war, hätte man mich sicher eingefangen und zurück zu den
Pavianen in den Zoo gebracht. Das Risiko wollte ich nicht eingehen. Also
schö sitzen bleiben und langsam strampeln.
Braunschweig. Flughafen. Die haben so was? Cool. Es startet eine Turboprop.
Die einzige an diesem Tag? Verlassen sieht es hier schon aus. Forschung ja,
Startbahnverlängerung nein. Man ist auch hier aktiv. Sieht man auch an den
zahlreichen AufpASSEn schildern.
Eine Tanke. Zeit für ein Brötchen und einen Kaffee. Wieder aufs Rad.
Die Sonne entschwindet. Es wird kalt. Licht an. Der neue Nabendynamo und
das LED Licht von Gevatter Schmidt sind Gold wert. Merkt man echt nicht beim
tretten. Die „Berge“ schon.
Ich bin müde. Das kann ja noch was werden. Aber ich habe noch den Plan bis auf den
Brocken zu fahren. Es zieht sich alles. Ich fahre automatisch. Ruhig. Keine
Eskapaden.
Werningerode. McDoof. Oh ja, jetzt ein Burger. Rein. Warm. Burger bestellt,
hingesetzt und genossen. 10min Pause. Raus. Aufs Rad. Was ist das. Ich friere.
Ohne Ende. Der Körper ist recht kraftlos. Selbst mit Radeln geht der Frost
nicht weg. Ein Thermometer zeigt unter Null. Murks und das hier unten.
Jetzt noch auf den Brocken?
Ein lichter Moment: Ich breche ab. Wer mich kennt weiß, es muß einer der
wenigen klaren Momente sinnvoller Entscheidungen gewesen sein.
Nach 272km rolle ich in ein Hotel. Duschen. Warmes
Bett. Schlafen.
Nachts denke ich, ne, Du steigst in die Bahn und fährst nach Hause.
Du wolltest an einem Tag hoch und das hat nicht funktioniert. Also
macht es auch keinen Sinn morgen da noch hochzufahren. In der Nacht
trinke ich noch gefühlte 100 Liter Wasser.
Morgens nettes Frühstück und blauer sonniger Himmel. Meinungsänderung.
Jetzt bin ich schon mal hier, also rauf auf den Berg.
Bis Schierke schon mal eine anstrengende Sache. Dort frage ich einen
Einheimischen nach einem kurzen Weg zur Brockenstraße. Das war ein Fehler.
Er schickt mich „auf einen kurzen Weg“ durch den Wald. Es war verschneit.
Ein Pfad. Ich habe mehrfach gewendet. Dann Wanderer gefragt. Letztlich ging
es an jeder Kreuzung zum Brocken. Aber nie stand welcher Weg die Straße ist.
Nach ca. 1,5std auf verschneiten Waldwegen, endlich die Straße. Jetzt noch
5km bergauf.
Das zieht sich. Die Wanderer (meißt mit der Bahn hoch und dann entspannt
mir entgegen kommend) haben alle den Schalk im Nacken. Noch ein bisschen
langsamer und Du stehst ist noch eine der netteren Begrüßungen. Na mir doch
egal. Ich weiß was ich den Beinen habe und das die Steigung nicht ohne ist.
Endlich bin ich oben. Der Tacho zeigt 301km. Die Sonne lacht. Oben liegen ca.
1,3m Schnee. Aber das strahlendes ist mein inneres. Nicht an einem Tag, aber
oben. Fühlt sich gut an.
Und als kleines Ausdauer Training vor dem Treppenlauf sicher optimal. Schnell
wieder runter. Auch anstrengend. Viel bremsen. Wellige Piste. Aber dann wieder
Wernigerode. Jetzt schnell mit der Bahn nach Hause.
Tja, schnell und Bahn. Sollte man nicht in einem Satz sagen. Ich komme
erst um 17:17 in einen Zug (könnte auch um 15:xx fahren, wäre aber nur
10min früher in HH) und werde HH um 22:03 erreichen. Radfahren ist doch
nicht die langsamste Art der rollenden Fortbewegung.
Heute 2 Tage nach dem Event schmerzen die Schultern, der linke Handballen ist
taub, die Rötung am Hintern ist noch da, sendet aber keine schmerzreize mehr.
Ich bin immer noch leicht müde. Aber froh diesen Quatsch mal gemacht zu haben.
Cross Training oder so, nennt man das wohl.
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Update: Der linke Ballen hat ca. 6 Wochen gebraucht bis das Gefühl zurück war. Na am
Ende zählt nur das Gefühl